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Wikingerzeit ist ein Begriff der Geschichtswissenschaft. Er wird auf Nordeuropa angewendet, soweit es von den Wikingern bevölkert, und auf Mittel-, Süd- und Westeuropa, sofern es von ihren Angriffen betroffen war.

Der Begriff „Wikingerzeit“ wurde von dem dänischen Archäologen Jens Jacob Asmussen Worsaae (1821–1885) geprägt.[1] Die Definition ist im Wesentlichen durch die Ereignisgeschichte bestimmt und daher bis zu einem gewissen Grad willkürlich. Die Wikingerzeit im skandinavischen Raum wird heute von verschiedenen Forschern unterschiedlich bestimmt. Als frühester Anfangszeitpunkt wird vereinzelt der Kriegszug des Dänen Chlochilaicus zwischen 516 und 522 n. Chr. genannt. Obwohl es bereits 742 den Angriff auf das piktische Burghead Fort und 787 auf Portland in Dorset in Südengland gegeben hatte, wird in der Regel erst der Überfall auf Lindisfarne 793 als Beginn der Wikingerzeit gesehen. Das Ende wird traditionell auf 1066 datiert (gleichzeitig Ende des Frühmittelalters in England und Zerstörung von Haithabu), obwohl die räuberischen Einzelaktionen kleinerer Wikingergruppen bereits früher zurückgegangen waren. Die Wikingerzeit ging mit dem Nachlassen der Wikingerzüge dem Ende entgegen. Sven Estridssons Ruf (1020–1074) etwa begann als Wikinger auf Raubzügen. Später rühmte ihn Bischof Adam von Bremen wegen seiner Bildung. Die heute gängige Grobdatierung lautet 800–1050 n. Chr., obwohl die Wikingerschiffsgräber von Salme zeigen, dass bereits um 750 n. Chr., also 50 Jahre früher, nordgermanische Krieger bei Kriegshandlungen im Baltikum den Tod fanden.

Die Wikingerzeit war geprägt durch ein großräumiges Netzwerk von Freundschaften. Dies umfasste einerseits persönliche, durch rituellen Austausch von Geschenken begründete Verbindungen mit gegenseitigen Verpflichtungen, die Bindung des Einzelnen an die Sippe und die Vorfahren und andererseits die Konfrontation mit dem Christentum. Diese Konfrontation wurde durch allmählichen Wandel von kleineren Herrschaften zu stärkeren Zentralgewalten vorbereitet. Der Fortschritt im Schiffbau und die damit verbundene Mobilität sowohl im Krieg als auch beim Handel führten zu Reichtum und kultureller Blüte.

Bei Kriegszügen sind diejenigen Züge, die in privater Initiative zur eigenen Bereicherung geführt wurden, zu unterscheiden von denen, die ein politisches Ziel hatten und daher von Herrschern oder deren Konkurrenten geführt wurden. Ihnen ist gemeinsam, dass sich der Krieg durch Plünderungen bzw. Kriegsbeute finanzierte. Diese Kriege hörten keineswegs mit dem Jahr 1066 auf. Magnus Berrføtt führte noch zwischen 1098 und 1103 Kriege gegen die Orkneys, die Insel Man und Irland, bei denen Plünderungen den Krieg finanzierten und nach Möglichkeit einen Überschuss erbringen sollten. Sweyn Asleifsson, eine Figur der Orkneyinga saga, fiel 1171 bei einem Wikingerzug gegen Dublin. Das letzte Mal soll von Wikingern die Rede gewesen sein, als die Birkebeiner 1209 als Wikinger nach Schottland gezogen seien.[2] Es handelte sich aber nur um Einzelunternehmen, die das gesellschaftliche Lebensgefühl nicht mehr dominierten.

In der skandinavischen Geschichtsschreibung folgt auf die Wikingerzeit das „christliche Mittelalter“. Ihr voraus geht in Schweden die Vendelzeit, in Dänemark die „Germanische Eisenzeit“. Diejenigen Autoren, die neben der kriegerischen Existenz auch den Handel und das Kunsthandwerk dem Wikingerbegriff zuordnen, sehen weniger enge Grenzen und verlegen die Anfänge bereits in die erste Hälfte des 8. Jahrhunderts und das Ende erst auf die Zeit nach 1100.[3] Andere lehnen dies ab: Damit würde das prägende Charakteristikum der zeitgenössischen Wahrnehmung, die sich im Wikingerbegriff bis in die Gegenwart erhalten hat, verschleiert; der Begriff verliere seine Brauchbarkeit.[4] Die Wikingerzeit lief im Wesentlichen mit der karolingischen und ottonischen Zeit Kontinentaleuropas parallel.

Manche Autoren wenden den Begriff Wikingerzeit auch auf die Geschichte der Rus an. Dies hängt damit zusammen, dass viele kulturelle Entwicklungen in der Wikingerzeit schwerpunktmäßig im Ostseeraum stattfanden.[5]

Ein Problem für die Schilderung der Wikingerzeit stellt die Quellenlage dar. Während eine Behandlung der Wikingerzeit den Anspruch erhebt, die Verhältnisse dieser Zeit in ganz Skandinavien zu schildern, sind die Quellen räumlich sehr ungleich verteilt. Die Verhältnisse in Island und Norwegen sind recht gut dokumentiert, während aus Dänemark und Schweden aus dieser Zeit kaum ergiebige Nachrichten vorliegen. Es ist daher unzulässig, die Aussagen der Quellen aus einem Gebiet für repräsentativ für Skandinavien zu halten. Das gilt insbesondere für das Brauchtum oder für die Stellung der Frau. Die sozialen Verhältnisse können in Dänemark und Schweden anders gewesen sein als in Norwegen oder Island.

Ein weiteres Problem stellt die moderne Quellenkritik dar, die die Glaubwürdigkeit der Quellen in Frage stellt. Das führt zu einer gewissen Beliebigkeit der Darstellung.[6] Hier wird davon ausgegangen, dass die erzählenden Quellen ihre Handlung, mag sie historisch sein oder nicht, in die realen Lebensumstände eingebettet haben. Dabei ist allerdings zu prüfen, ob es sich um die Lebensumstände zur Zeit der geschilderten Ereignisse oder zur Zeit des Verfassers handelt. Besondere Skepsis verdienen Zahlenangaben aus der Zeit, von denen die Verfasser nur mündliche Überlieferungen haben konnten. Das gilt zum Beispiel für die Flottenstärken bei der Schlacht bei Hjørungavåg 986, die vermutlich übertrieben sind.[7] Auch die zeitgenössischen fränkischen Annalen haben die Anzahl der Schiffe oft übertrieben, wie im entsprechenden Abschnitt des Artikels Wikinger gezeigt wird. Trotzdem kann die Grundstruktur des Schlachtenverlaufs als plausibel gelten.

Die Menschen

Die Gräber zeigen, dass das durchschnittliche Sterbealter der Männer bei 41 Jahren lag, das der Frauen bei 51 Jahren. Die Skelette zeugen von harter körperlicher Arbeit. Es sind – besonders bei Frauen – deutliche Spuren von Arthrose zu finden. Die Frauenskelette zeigen eine durchschnittliche Körpergröße von ungefähr 161 cm, die der Männerskelette von ungefähr 174 cm (die Durchschnitte schwanken von Gegend zu Gegend). Es gab daneben auch bis zu 185 cm große Menschen.[8] Die größeren Menschen stammen, den Grabbeigaben nach zu urteilen, offenbar aus den höheren Gesellschaftsschichten.

Die Skandinavier bewohnten in England und Irland fast ausschließlich abgeschlossene Territorien bzw. Ortschaften. Einzelgehöfte sind unbekannt. Anders sieht es in Schottland und auf den Inseln aus (Hebriden, Orkneys, Shetlands und der Isle of Man) aus, wo viele Einzelgehöfte festgestellt wurden.[9] In den Wohnstätten bestand der Boden aus gestampftem Lehm, der mit Stroh bestreut war.

Für die Jagd hatte man offenbar Spürhunde.[10]

Kleidung und Körperpfle

 

Haartracht der Männer: Hinterkopf geschoren (deutlich jeweils beim Mann rechts und unten links) und lange Haare über der Stirn. Darstellung auf dem Teppich von Bayeux, 2. Hälfte 11. Jahrhundert

Die Trachten scheinen stark variiert zu haben. Neben der traditionellen Frauenkleidung, die mit bronzenen Schnallen und Spangen an der Schulter zusammengehalten wurde, zeigen sich besonders in den Gräbern im heutigen Dänemark und im westlichen Teil von Schonen (Südschweden) auch westeuropäische Kleidungsmoden ohne Metallspangen, aber dafür mit Stoffen, in die Silber- oder Goldfäden eingewoben wurden, wie sie von fränkischen und byzantinischen Stoffen bekannt sind. Es wurden verschiedene Arten von Perlenketten getragen. Bronzene Armreife waren im Westen unbekannt, aber in Österlän üblich.[17]

Generell war man nach den Darstellungen und den Pflegeutensilien in den Gräbern sehr gepflegt. Ibrahim ibn Jaqub berichtete von seiner Reise nach Haithabu um 965, dass Männer und Frauen Augenschminke benutzt hätten. Ein englischer Autor berichtete, dass die Nordmänner am Samstag badeten, ihr Haar pflegten und gut gekleidet waren, um Erfolg bei den englischen Damen zu haben. Der Nacken war geschoren und das Stirnhaar lang.[18] Das galt sicher nicht für die Landlosen und Knechte.

Nahrung

Die wikingerzeitlichen Männer waren durchschnittlich 173 cm groß, was auf gute Ernährung schließen lässt.[19] Die Menschen der Eisen- und der Wikingerzeit aßen Fleisch von Rind, Schwein, Schaf, Huhn und Fisch. Durch Pökeln, Trocknen oder Räuchern wurde das Fleisch haltbar gemacht. Aus Milch stellte man Käse, Butter, Buttermilch und Dickmilch her. Eier bekam man von Hühnern und wilden Vögeln. In der Eisenzeit baute man Hafer und Gerste an. In der Wikingerzeit kam noch Roggen hinzu, den man aus slawischen Gebieten importiert hatte. Als Gemüse hatte man Erbsen, Bohnen, Kohl, Zwiebeln und Kresse. Im Wald und auf den Feldern sammelte man Äpfel, Pflaumen, Brombeeren, Himbeeren, Walderdbeeren, Schlehen, Holunderbeeren und Haselnüsse. Salz war unentbehrlich. Man gewann es aus Meerwasser oder importierte es. Zum Süßen nahm man Honig. Man trank Wasser oder Milchgetränke und Obst- und Beerensaft. Bier wurde aus Gerste gebraut und mit Hopfen oder Porst gewürzt. Aus Honig, Wasser und Gewürzkräutern stellte man Met her. Bjórr war wahrscheinlich starkvergorener Apfelwein. Traubenwein wurde importiert.

Aus Getreide kochte man Grütze oder man mahlte es in einer Handmühle und buk daraus Brot. Als Treibmittel diente Sauerteig. Das Mehl hatte durch den Verschleiß der Handmühlen viele Unreinheiten, was die Zähne verschliss. Es wurden Fladen auf Pfannen auf offenem Feuer oder in Backöfen gebacken. Obst und Beeren aß man roh oder gekocht als Grütze. Gemüse ließ sich zu Suppe verarbeiten. Man kochte oder briet in Töpfen oder am Spieß über offenem Feuer. Fleisch wurde auch in Erdgruben gegart. In die Grube kommen heiße Steine, darauf das Fleisch in Blätter gewickelt, drüber wieder eine Lage Heiße Steine und das Ganze mit Grassoden zugedeckt – in Island nennt man das Hólusteik. Pro Kilo Fleisch benötigte man 1 Stunde.

Lebenseinstellung

Die Lebenseinstellung dürfte, wie zu allen Zeiten, nicht einheitlich gewesen sein. Neben der Auffassung, dass das Leben vorherbestimmt sei und auch magische Kräfte darauf einwirkten, gab es auch Menschen, die areligiöse und diesseitsbetonende Realisten waren, jedem Übersinnlichen abhold. Als Quellen stehen fast nur die Sagas zur Verfügung; diese Aussagen gelten nur für Norwegen und Island.

Die Quellen geben vorwiegend die erste Gruppe wieder, da in den Sagas die Vorherbestimmtheit in dem Erzählduktus die Spannung erhöht. Bei dieser Gruppe spielte auch der Zusammenhang des Individuums mit den Ahnen eine besondere Rolle. Diese oder ihre Folgegeister kümmerten sich auch um ihre lebenden Nachkommen, zum Beispiel durch warnende Traumbilder. Groa, eine Zauberin in der Vatnsdœla saga, wollte Thorstein durch Zauber für sich gewinnen und lud viele und darunter auch ihn zu einem Gastmahl ein.

„Og hina þriðju nótt áður Þorsteinn skyldi heiman ríða dreymdi hann að kona sú er fylgt hafði þeim frændum kom að honum og bað hann hvergi fara. Hann kvaðst heitið hafa. Hún mælti: ‚Það líst mér óvarlegra og þú munt og illt af hljóta.‘ Og svo fór þrjár nætur að hún kom og ávítaði hann og kvað honum eigi hlýða mundu og tók á augum hans. Það var siðvenja þeirra þegar Þorsteinn skyldi nokkur heiman fara að allir komu þann dag til Hofs er ríða skyldu. Komu þeir Jökull og Þórir, Már og þeir menn aðrir er fara skyldu. Þorsteinn bað þá heim fara. Hann kvaðst vera sjúkur. Þeir gera svo. Þann aftan þá er sól var undir gengin sá sauðamaður Gró að hún gekk út og gekk andsælis um hús sín og mælti: ‚Erfitt mun verða að standa í mót giftu Ingimundarsona.‘ Hún horfði upp í fjallið og veifði giska eða dúki þeim er hún hafði knýtt í gull mikið er hún átti og mælti: ‚Fari nú hvað sem búið er.‘ Síðan gekk hún inn og lauk aftur hurðu. Þá hljóp aurskriða á bæinn og dóu allir menn. Og er þetta spurðist þá ráku þeir bræður á burt Þóreyju systur hennar úr sveit. Þar þótti reimt jafnan síðan er byggð Gró hafði verið og vildu menn þar eigi búa frá því upp.“

„Drei Nächte, bevor er von Hause reiten sollte, träumte Thorstein, dass die Frau, die seine Ahnen begleitet hatte, zu ihm komme und ihn bitte, ja nicht zu reiten. ‚Das scheint mir unklug, und es wird dir auch Unglück bringen.‘ Und so ging es drei Nächte, dass sie kam und ihm Vorhaltungen machte und sagte, es werde ihm nicht taugen, und sie berührte seine Augen. Es war Sitte der Seetaler, wenn Thorstein einen Ausritt vorhatte, dass alle an diesem Tage nach Tempel kamen, die mit ihm reiten wollten. Sie kamen, Jökul und Thorir, Mar und die anderen Männer, die reisen wollten. Thorstein bat sie, nach Hause zu reiten, er sei krank. Sie taten es. Diesen Abend, als die Sonne untergegangen war, sah ein Schafhirt Groa, wie sie aus dem Gehöft trat und entgegen dem Sonnenlauf um ihr Gehöft schritt und sprach: ‚Schwer ist es, dem Glück der Ingimundssöhne zu widerstehen.‘ Sie blickte hinauf nach dem Gebirge und schwang einen Beutel oder ein Tuch, in das sie viel Gold, ihr Eigentum, geknotet hatte, und sagte. ‚Es komme, was kommen muss.‘ Darauf ging sie hinein und schloss die Tür hinter sich. Da ging ein Steinschlag aufs Gehöft nieder, und alle Menschen fanden den Tod.“

– Vatnsdœla saga Kap 36.[20]

Überhaupt spielten Vorahnungen eine große Rolle. Sie wurden offenbar vom Verfasser und den Lesern als real vorkommend erachtet. Ein Teil von ihnen ist allerdings nur eine literarische Umschreibung einer Einschätzung aller bekannten Faktoren, aus der sich die Entwicklung des Geschehens ableiten ließ. Ein weiterer Zug ist der häufig geschilderte Fatalismus, der sich bis in die Christenzeit hielt. So wird im Bericht über die Schlacht bei Fimreite erzählt, dass König Sverre sein Schiff verlassen hatte und zu seiner Flotte gerudert war, um ihr neue Befehle zu geben. Dann heißt es:

„Der König ruderte wieder zu seinem Schiff zurück. Da fuhr ein Pfeil in den Steven des Bootes über des Königs Haupt und gleich darauf ein zweiter auf das Deck vor die Knie des Königs. Der König saß ruhig da, ohne davon Aufhebens zu machen, und sein Begleiter sagte: ‚Ein schlimmer Schuss das, Herr!‘ Der König antwortete: ‚Es kommt doch ganz, wie Gott es will!‘“[21]

Soziale Strukturen

Soziale Schichtung

 

U 209: Þorstein machte dieses nach Ærinmund, seinem Sohn; er kaufte diesen Hof und erwarb Reichtum ostwärts in Garðarríki.

Die nach 1000 feststellbare Aristokratie[22] ist archäologisch durch Großhöfe fassbar, die viele Gebäude umfassten. Ihre Legitimationsgrundlage lag in ihrem Reichtum und der sich daran anschließenden Freigebigkeit gegenüber ihrem Gefolge. Solche Großhöfe wurden in Uppåkra (heute in der Gemeinde Staffanstorp) wenige Kilometer südwestlich von Lund, in Tissø im westlichen Själland, in Lejre bei Roskilde und in Borg auf den Lofoten erforscht. Nach den Funden (Waagen und Gewichte sowie arabische Münzen) stammte der Reichtum zum größten Teil aus dem Handel. Das Gefolge der Aristokraten war eine Kriegertruppe, hirð genannt. Die größte Truppe hatte der König, und es spricht einiges dafür, dass diese Kerntruppe bei Knut dem Großen identisch ist mit dem in seinem Zusammenhang oft genannten Thingslið in England.[23] Die früheste Erwähnung findet sich auf einem Runenstein aus Uppland aus der Zeit zwischen 1020 und 1060.[24] Diese Kriegertruppe übte im Machtbereich des Herrn so etwas wie die Polizeigewalt aus und diente bei lokalen Auseinandersetzungen zur Durchsetzung eigener Ansprüche; denn es gab ansonsten kein staatliches Gewaltmonopol.

Die Gräber zeigen in ihren Beigaben auch eine klare Schichtung der Gesellschaft: führende Persönlichkeiten, eine breite Mittelschicht, die je nach Vermögen mehr oder weniger kostbare Grabbeigaben hatte, und Sklaven ohne Grabbeigaben.[25]

In dieser Zeit gehörte es sich in manchen Kreisen, dass ein Mann ins Ausland fuhr, entweder durch Raub oder durch Handel Reichtümer erwarb und erst reich und ruhmbedeckt heimkehrte, um die dort herkömmliche Lebensweise aufzunehmen. Der heimskr maðr, der also zu Hause geblieben war, war gleichbedeutend mit „Dummkopf“.[26] Aber das bedeutet nicht, dass jeder Jüngling der Oberschicht auf Wikingfahrt ging. Nur sind sie Hauptpersonen der entsprechenden Berichte.

Die Haupttrennlinie innerhalb der Gesellschaft war die Linie zwischen den Freien und Unfreien. Innerhalb der Gruppe der Freien gab es Unterschiede, die vom Besitz und der Familie bestimmt waren. Die einzige wirklich alle Freien umfassende Eigenschaft war die Mannheiligkeit. Sie wirkte sich in der Mannbuße aus, die für Totschlag, Verletzung des Körpers oder der Ehre zu zahlen war und zwar an ihn oder, wenn er getötet war, an seine Familie. Eine solche Buße stand dem Unfreien nicht zu, allenfalls ein Schadensersatz an den Herrn. Bei der freien Frau kam noch die Buße für sexuelle Übergriffe hinzu.

Nach Einführung des Königtums durch Harald Hårfagre in Norwegen entstand eine Klassengesellschaft, die aus König, Häuptlingen, Bauern und Sklaven bestand und als gottgegeben betrachtet wurde.[27]

Der König

Ein König leitete – wie andere Könige auch – seine Legitimation aus seiner Abstammung von Göttern her. Bei Harald Hårfage war es die Abstammung von den Ynglingen, die sich auf den Gott Freyr zurückführten, wie Tjodolf von Hvin in der Ynglingatal darstellt, bei den Ladejarlen war es Odin, wie Eyvindr Skáldaspillir in Háleigjatal darlegt. Da er einem göttlichen Geschlecht entstammte, war an ihn auch das Wohlergehen des Volkes, das allgemeine Glück geknüpft. Sein Voranschreiten in der Schlacht sollte zeigen, dass die Götter mit ihm waren. Ein Geschenk des Königs hatte nicht nur materiellen Wert, sondern gewährte auch Teilhabe am Königsheil. Man geht davon aus, dass ursprünglich alle Häuptlinge ihr Geschlecht auf Götter zurückgeführt haben. Mit zunehmender Machtkonzentration in Norwegen auf zwei Familien, das Hårfagreætt und die Ladejarle, sind die übrigen „desakralisiert“ worden.[28] Die nach mehrfachem Scheitern endgültige Einführung des Christentums führte zu einer grundlegenden Veränderung der Legitimation. Die Abstammung von einem heidnischen Gott konnte nicht aufrechterhalten werden. Die neue Grundlage wurde durch die Sakralisierung von Olav dem Heiligen als Märtyrer geschaffen, auf den sich anschließend alle Könige zurückführten, wenn auch die tatsächliche Abstammung bei vielen mehr als zweifelhaft ist.[29]

Der König übte Oberherrschaft über alle Teile des nicht genau abgrenzbaren Landes aus, deren Inhalt aber nur vage bestimmbar ist. Abgaben, Verköstigung beim Besuch und Heerfolge im Krieg dürften die wesentlichen Inhalte darstellen. Er herrschte nicht über ein Gebiet, sondern über Menschen. So bezeichnet Torbjørn Hornklove ihn als dróttin norðmanna (König der Nordmänner). Aber er wurde auch als Eigentümer des Landes angesehen. Die stereotype Rechtsfolge hartnäckigen Gesetzesverstoßes war die Landesverweisung, die zum Beispiel im Gulathingslov so zum Ausdruck gebracht wurde:

„En ef hann vill þat eigi. þa scal hann fara or landeign konongs várs.“

„Und will er das nicht, so soll er fahren aus dem Landeigentum unseres Königs.“

– Gulathingslov § 23.

Als Gegenleistung für die Abgaben hatte er für die Außenverteidigung seines Machtbereichs zu sorgen. Siehe dazu Die innere Entwicklung Norwegens zur Wikingerzeit.

Der norwegische König hatte damals noch nicht die Regierungsgewalt wie später. Er hatte weder die Gesetzgebung noch die Rechtsprechung inne und war im Wesentlichen auf die lokalen Größen angewiesen. Das Heer folgte nur bedingt. Deutlich wird dies in der Auseinandersetzung zwischen König Olav und Knut dem Großen im Herbst 1027. Der König redete den schwedischen Bundesgenossen und ihrem König Önund auf einer Beratungsversammlung (húsþing – Hausthing) zu, im Herbst auf den Schiffen zu bleiben und abzuwarten, bis die Krieger Knuts nach Hause abgezogen seien und gegen seine geschwächte Flotte zu ziehen. Nicht der König, sondern die anwesenden Führer antworteten:

„Þá tóku Svíar aðtala, segja að það var ekki ráð að bíða þar vetrar og frera ‚Þótt Norðmenn eggi þess. Vita þeir ógerla hver íslög kunna hér að verða og frýs haf allt oftlega á vetrum. Viljum vér fara heim og vera hér ekki lengur.‘ Gerðu þá Svíar kurr mikinn og mælti hver í orðastað annars. Var það afráðið að Önundur konungur fer þá í brott með allt sitt lið […]“

„Sie sagten, es sei nicht geraten, den Winter und den Frost abzuwarten, auch wenn die Norweger dazu auffordern. ‚Sie wissen eben nicht, wie hier das Eis liegen kann und wie hier das Meer im Winter so häufig ganz zufriert. Wir wollen heim und nicht länger hier liegen.‘ Die Schweden murrten laut, und alle sprachen in dem gleichen Sinne untereinander. Man beschloss schließlich, König Önund solle mit seinem ganzen Heere heimziehen.“

– Heimskringla. Ólafs saga helga. Kap. 154.

In Norwegen herrschte anfangs ein Erbkönigtum, das alle Söhne gleichermaßen zum Königtum berechtigte, nach dem Ende der Bürgerkriegsperiode ein eingeschränktes Wahlkönigtum. Aber schon unter dem Erbkönigtum bedurfte der König der Akklamation durch ein Thing bei dem aber nur Männer aus einer königlichen Familie zur Wahl standen. Bei der Akklamation Olavs des Heiligen (995–1030) zum König versprach dieser „die Wahrung ihrer alten Landesgesetze sowie den Schutz gegen ausländische Heere und Herren“.[30] Dafür hatte er Anspruch auf Bewirtung, wohin er mit seinen Mannen kam.

Der König hatte eine eigene Mannschaft um sich, die später hirð genannt wurde. Er musste Vorbild im Kampfe und in der Lebensführung sein, wenn er anerkannt werden wollte. Dabei ging es weniger um seinen Titel, den er auf Grund seiner Zugehörigkeit zu einem mächtigen Geschlecht trug, als vielmehr um die Motivation, die er seiner Mannschaft einflößen konnte. So konnte Erik Blutaxt nicht schnell genug eine Flotte gegen seinen Rivalen Håkon den Guten aufstellen, „weil manche der Vornehmen ihn verließen und sich zu Håkon begaben“.[31] Auch die Erikssöhne mussten mit ihrer Mutter Gunnhild Norwegen verlassen, als Jarl Håkon nach Norwegen kam. „Sie riefen ein Heer zusammen, aber es folgte ihnen nur wenig Volk.“[32] Die besten Beispiele früher Ideale geben die Skaldengedichte, die in der Heimskringla zitiert sind, da sie die ältesten Zeugnisse sind, oft unmittelbar nach den geschilderten Ereignissen gedichtet und weiter tradiert.

Úti vill jól drekka
ef skal einn ráða
fylkir hinn framlyndi
og Freys leik heyja,
ungr leiddist eldvelli
og inni að sitja,
varma dyngju
eða vöttu dúns fulla.

Außen Jul wird trinken
Wenn er's entscheidet,
der fehdefrohe Führer:
Freys Spiel dort treibt er.
Jung Herdglut hasst er
– nie hockt er drinnen –
und Frauenstuben, warme,
und Futter von Daunenhandschuhen.[33]

Im Laufe der Zeit erstarkte das Königtum. Maßgeblich waren dabei ausländische Vorbilder und Einflüsse. Nicht nur, dass Harald hårfagri seinen Sohn Hákon nach England an den Hof Aðalsteins schickte und dieser dort aufwuchs, auch später sammelten die künftigen Könige ihre Erfahrungen im Ausland, so dass Snorri dem Vater Olavs des Heiligen an Olav den Satz in den Mund legt: „Jetzt bist du nun außerdem in Schlachten bewährt und hast dich selbst nach dem Muster ausländischer Herrscher gebildet.“[34]

Häuptlinge[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der Wikingerzeit existierten um die 20 große und Dutzende kleine Häuptlingsherrschaften. Wenn man annimmt, dass um 800 ungefähr 100.000 Menschen in Norwegen wohnten, so folgt daraus, dass die Herrschaftsbereiche in dieser Zeit in der Regel sehr klein gewesen sein müssen.[35] Die Macht der Häuptlinge beruhte auf ihrem Netzwerk, das aus mehr oder weniger abhängigen Bauern bestand. Diese hatten den Häuptling bei seinen Unternehmungen zu unterstützen, und der Häuptling hatte ihnen Schutz zu gewähren und ihr Auskommen zu sichern. Das Verhältnis kann als Verhältnis zwischen Patron und Klient beschrieben werden. Hinzu kam der Hirð, eine Gruppe von Berufskriegern um den Häuptling. Beides setzte eine solide ökonomische Grundlage voraus, die durch kriegerische Unternehmungen geschaffen werden musste. Das bedeutete ständige Expansion der Machtbereiche durch Siege über andere Häuptlinge. Daher war die Gesellschaft in der vorköniglichen Zeit instabil. Hinzu kamen die Konflikte, die sich aus dem Erbrecht ergaben. Denn alle ehelichen und unehelichen Söhne waren in der Nachfolge gleichberechtigt.[36] Häuptlinge hatten, da sie ihr Geschlecht ursprünglich auf Götter zurückführten, auch priesterliche Funktionen. In Island wurden sie „Goden“ genannt.

Bauern

Die Bauern waren der Kern der Gesellschaft Norwegens von der Vorkönigszeit bis ins 19. Jahrhundert. Sie führten einen Bauernhof und hatten klare Pflichten: der Schutz der auf dem Hof lebenden Personen und die Teilnahme an der Thingversammlung. Unter den Bauern gab es große ökonomische Unterschiede. Einige besaßen große Güter, die sie teilweise verpachteten oder auch durch Sklaven bewirtschaften ließen. Anders als die Sklaven hatten aber alle Bauern „Ehre“. An der Spitze standen die sogenannten „Haulde“, eine Bauernaristokratie. Im Østlandet hatte die Bezeichnung noch den ursprünglichen Sinn des landbesitzenden Bauern, im Vestlandet zeigen Frostathingslov und Gulathingslov, dass es sich um Odalsbauern handelte. Um den Odalsstatus zu erlangen, musste eine Familie zwischen vier und sechs Generationen auf dem gleichen Grundbesitz wohnen. Im Landslov wurde die Zeit auf 60 Jahre reduziert. Wie groß der Anteil dieser Bauern war, ist nicht bekannt. In der Kriegergesellschaft war die Ehre das höchste Gut, und so kam es zur Steigerung der Ehre häufig zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Diese Ehrenkämpfe konnten aber nur zwischen Personen des gleichen Status ausgetragen werden. Sie dienten der sozialen Differenzierung innerhalb der gleichen Gruppe. Es war undenkbar, dass ein Häuptling einen Bauern herausforderte, denn mit der Herausforderung an ein Mitglied einer tieferen sozialen Schicht konnte keine Ehre gewonnen werden.[37]

Der Einzelhof mit seinem dazugehörigen Grund und Boden und die Außenbezirke (Inn- und Utmark) war die wirtschaftliche Grundeinheit, auf dem die Gesamtgesellschaft aufgebaut war. Das spiegelt sich auch in der zeitgenössischen Mythologie wider: In Asgard hatte jeder Gott seine eigene Halle. In Midgard hatten die Menschen ihre Höfe und in Utgard saßen die Trolle und bösen Mächte. In diesem Weltbild haben Inn- und Utmark Modell gestanden.[37] Die Einzelhöfe produzierten ihren Bedarf so weit als möglich selbst. Aber die unterschiedlichen Ressourcen erzwangen eine gewisse Spezialisierung: Fischfang und Eisengewinnung konnten zum Tausch gegen andere wichtige Güter eingesetzt werden.[35]

Daneben gab es auch kleine Siedlungen. Sie waren sowohl eine soziale Einheit als auch eine Produktionsgemeinschaft. Die Siedlung besaß Äcker. Jeder Bauer hatte seine Felder in den verschiedenen Gemarkungen ohne Grenzmauern gegenüber dem Nachbarn. Die Bauern pflügten, säten und ernteten gemeinsam. Dazu kamen Wiesen und Wald als Allmende. Das Ganze gehörte einem oder mehreren Grundherren.

Krieger

Zu Beginn der Wikingerzeit rekrutierten sich die Krieger aus den Bauern. Später wurde Krieger auch ein Beruf. Dass auch in der Spätzeit die Bauern Kriegsdienste leisteten, belegt ein Stein aus Uppland, auf dem ein Krieger gelobt wird, er sei der beste Bauer in Håkons Gefolgschaft gewesen:

„Gunni ok Kári reistu stein eptir […] Hann var bónda beztr í róði Hákonar.“

„Gunni und Kári setzten den Stein nach […] Er war der beste Bauer im Aufgebot Håkons.“

– U 16

róð wird im Upplandsgesetz so beschrieben: „Und nun bietet der König die Gefolgschaft und das Bauernheer auf, er verlangt die Ruder- und Kriegermannschaft und die Ausrüstung.“[38] Da gab es bereits eine stehende Kriegertruppe.

Sklaven[Bearbeiten

Neben diesen beschriebenen Personengruppen gab es noch die Knechte/Sklaven. Sie hatten keine Zugehörigkeit zu Familien. Sie hatten keine Rechte. Ihre Herkunft spielte keine gesellschaftliche Rolle. Sie waren Eigentum des Herrn. Über sie gibt es Nachrichten erst in den späteren altnorwegischen und frühen schwedischen Gesetzen.[39] Aber diese lassen gewisse Rückschlüsse auf die vorangegangenen Verhältnisse zu. Welche ökonomische Bedeutung die Sklaven zur damaligen Zeit hatten, gehört zu den unbeantworteten Fragen der norwegischen Geschichtsforschung. Zwar berichten englische und irische Quellen über Menschenraub. So wird für das Jahr 871 berichtet, dass Skandinavier aus Dublin eine große Zahl von englischen Männern und Pikten versklavten.[40] Aber daraus ist nicht zu entnehmen, dass davon eine größere Anzahl nach Norwegen kam, da viele ins Ausland verkauft worden sein können. Außerdem gibt es keine Anhaltspunkte für die Zahl, um die es sich handelte. Archäologisch ist der Sachverhalt kaum fassbar. Oft wurden die Gefangenen nicht verkauft, sondern gegen Lösegeld wieder freigelassen. Wurde das Lösegeld nicht gezahlt, töteten die Wikinger sie oft. Von Jarl Erling Skjalgsson wird berichtet, dass er ständig 30 Knechte um sich gehabt habe. Diese durften auch für sich selbst wirtschaften und konnten sich so innerhalb von zwei bis drei Jahren freikaufen. Mit der Ablösesumme kaufte der Jarl neue Knechte.[41] Hier ist schon christlicher Einfluss spürbar. Régis Boyer meint, dass die Sklaverei der Wikingerzeit in Skandinavien nicht mit der Sklaverei im antiken Rom vergleichbar sei. Er meint, die Ideale der Wikinger hätten einer solch menschenverachtenden Haltung entgegengestanden.[42] Diese Ideale treten aber in einem bereits christlich kontaminierten literarischen Umfeld entgegen, das außerdem bereits von kontinentalen Idealen beeinflusst ist. Für die vorchristliche Gesellschaft ist ein auf die Gattung „Mensch“ bezogenes Ideal nicht greifbar. Vielmehr beschränkten sich alle zu ermittelnden ethischen Normen unmittelbar auf Sippe und Gefolgschaft. In Schweden sind Sklaven bis ins 14. Jahrhundert in zahlreichen Testamenten belegt, in denen reiche Erblasser ihren Sklaven die Freiheit schenkten. Sie entstammten nicht nur den Raubzügen, sondern es begaben sich auch viele freiwillig in den Sklavenstand, um so ihre Versorgung sicherzustellen. Auch gab es die Versklavung als Strafe. Der Inhalt des Sklavenstatus war von Landschaft zu Landschaft und von Epoche zu Epoche verschieden. Eines war aber durchgehend kennzeichnend: Dem Sklaven fehlte die Mannheiligkeit. Er war gegenüber seinem Eigentümer und dessen Familie rechtlos, die gegen ihn straflos Gewalt anwenden oder ihn verkaufen konnte. Die Verletzung des Sklaven durch Dritte wurde als Beschädigung des Eigentums des Herren angesehen. Die Kinder einer Sklavin gehörten wie die bei den Haustieren dem Eigentümer.[43] Allerdings waren auch hier die Regelungen unterschiedlich: Nach dem Recht in Schonen und nach dem Västgötalag war das Kind einer Sklavin Sklave. Im Östgötalag war das Kind eines freien Mannes mit einer Sklavin frei. In Svealand folgte ein Kind einer solchen Mischehe immer der „bessern Hälfte“. Dort war die Möglichkeit einer solchen Mischehe auch gesetzlich geregelt. Diese Entwicklung wird dem Einfluss der Kirche zugeschrieben.[44]

Die Rechtlosigkeit beinhaltete auch, dass er nicht auf einem Thing auftreten konnte. Er war auch nicht geschäftsfähig. Er konnte auch nicht selbst seine Freilassung bewirken. Die volle Freiheit nach einer Freilassung erlangte er erst, wenn er von einem Mitglied einer Familie in ein freies Geschlecht adoptiert wurde. In Uppland und in Södermanland hatte der Sklave eine auf Personen außerhalb der Familie des Eigentümers beschränkte Mannheiligkeit. Dort war der Verkauf des Sklaven auch verboten.[44]

Es gab eine halbfreie Klasse (fostrar oder frälsgivar). Wahrscheinlich waren das Sklaven, die ein kleines Stück Land zur eigenen Bewirtschaftung auf Lebenszeit zugewiesen bekommen hatten. Damit war der Eigentümer vom Unterhalt entlastet, der Sklave behielt aber seinen rechtlosen Status. Allerdings war der Schadenersatz, der bei Verletzung an den Eigentümer zu zahlen war, höher, und sie konnten auch eine Freie heiraten und die Kinder aus der Ehe waren freie Mitglieder der mütterlichen Familie. Die Regelung dieser halbfreien Klasse gehören der jüngsten Überlieferungsschicht an.

Im Skarastadgan von 1335[45] ordnete König Magnus Eriksson an, dass von nun an alle Kinder christlicher Eltern frei sein sollten. Diese Entwicklung wird auf die Kirche zurückgeführt, die – ohne am Gesellschaftssystem zu rütteln – von Anfang an die Sklaven als in der Kirche gleichberechtigt ansah. Für die Großgrundbesitzer mit weit verstreuten Gütern war es ökonomisch besser, die Ländereien von juristisch selbständigen Knechten und Landarbeitern bewirtschaften zu lassen als von Sklaven, die man überwachen und unterhalten musste. Die bisherigen Sklaven wurden im 14. Jahrhundert massenhaft freigelassen. Das Schicksal dieser Landarbeiter unterschied sich allerdings nicht von den Sklaven. Der Großbauer behielt das gesetzliche Recht zur Körperstrafe, und der arme Landarbeiter musste sich den Arbeitsbedingungen fügen, wollte er nicht als Landstreicher bestraft werden. Da der Gutsherr die Verantwortung für den früheren Sklaven nun losgeworden war, trug dieser nun das Risiko der Arbeitslosigkeit und der Not im Alter. Das Recht zur Körperstrafe wurde 1858 auf minderjährige Knechte beschränkt und erst 1920 aufgehoben.[44]

Besondere Funktionsträger

Über besondere Funktionsträger der vorchristlichen Gesellschaft ist sehr wenig bekannt.

  • Ein Funktionsträger war sicherlich der „Priester“, der aus etymologischen Gründen der Bezeichnung Gode zugeordnet wird.[46] In Norwegen nahmen diese Funktion die Häuptlinge wahr. In Island wurden sie Goden genannt. Es gab häusliche, regionale und überregionale Opferfeste. (siehe Artikel Nordgermanische Religion und Julfest). Steinsland geht davon aus, dass die religiösen Rituale auf den Einzelhöfen von Frauen geleitet wurden und nur die regionalen und überregionalen Feste der männlichen Leitung vorbehalten waren.[47]

  • Anfänglich leitete auch ein Gode die Thingversammlung. Nach isländischen Quellen trug er einen heiligen goldenen Armreif am Oberarm. Auf diesen Armreif wurden die Eide abgelegt. Auf dem Thing trat auch ein Gesetzessprecher auf, der die Gesetze auswendig vorzutragen hatte.

  • Weitere Funktionsträger bildeten sich am königlichen Hof, im Heer und in der Flotte aus. Sie rekrutierten sich in aller Regel aus der Bauernaristokratie.

Der Familienverband

Die Gesellschaft der norwegischen Nordmannen war wesentlich von äußeren, insbesondere fränkischen Einflüssen geprägt. Gleichzeitig mit der Ausdehnung ihres Einflussbereiches nach außen begann auch die innere Kolonisierung. Erst als die Bedingungen eine weitere Ausbreitung im Inneren nicht mehr zuließen, verlagerte sich das Schwergewicht auf die Ausbreitung ins Ausland, die mit den Wikingern in Verbindung gebracht wird. Man kann archäologisch eine stetige Zunahme der bebauten Gemarkungen seit der Zeitenwende mit einem vorübergehenden Einbruch im 6. Jahrhundert konstatieren. Die neuen Gemarkungsnamen vor der Wikingerzeit, die alle mit einem Personennamen beginnen, lassen den Schluss zu, dass der Ackerbau in dieser Zeit von einzelnen Kleinfamilien betrieben wurde. Gleichwohl war die Gesellschaft vor der Wikingerzeit von Familienverbänden geprägt, da es über der Großfamilie keine höhere Instanz gab. In der Wikingerzeit allerdings sorgte die höhere Mobilität für eine Neuorientierung, da in der Fremde die eigene Großfamilie in Konfliktfällen nur bedingt und sehr begrenzt Unterstützung gewähren konnte. Hier trat immer mehr die Gruppe, zu der eine Person gehörte, in den Vordergrund.

Gleichwohl ist der Begriff des „Familienverbandes“, dem eine Person zugehörte, zu dieser Zeit von Bedeutung. Damit ein Geschlecht in allen Dingen zusammenhielt, muss es für alle Mitglieder ein gemeinsames Gruppengefühl gegeben haben. Das ist nur in einem starken Patriarchat oder Matriarchat möglich. In der Wikingerzeit ist auf Grund der patrilinearen Ausformung der Personenverbindungen von einem Patriarchat auszugehen, wo der Familienälteste über Söhne, Ehefrau, unverheiratete Töchter und Schwiegertöchter bestimmte. Dies war vorher aber anders. Wenn vor der Wikingerzeit eine Frau heiratete, blieb sie Angehörige ihres eigenen Familienverbandes, und für die Kinder war der mütterliche Familienverband genauso wichtig wie der väterliche. Das beinhaltete, dass zum Beispiel zwei Kernfamilien von zwei Brüdern niemals die gleiche Sicht über ihre nächsten Verwandten hatten, abgesehen von dem seltenen Fall, dass zwei Brüder mit zwei Schwestern verheiratet waren. Diese Gesellschaft bestand also nicht aus getrennten Geschlechtern nebeneinander, sondern aus Kleinfamilien als Knoten in einem großen Netz mit Verbindungen kreuz und quer über das Gebiet und ergab ein unsymmetrisches Muster. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass man von einem Streit zwischen Gruppen hört, die miteinander verwandt waren. Hier wird der Begriff „Stamm“ vermieden, weil dieser zu viele verschiedene Phänomene umfasst, als dass er in diesem Zusammenhang sinnvoll angewendet werden könnte.

Freundschaft

Von mindestens gleich großer Bedeutung war die Institution der Freundschaft. Dabei handelt es sich um politische Allianzen gegenseitiger Unterstützung vor der endgültigen Durchsetzung der Königsmacht. Sie tritt daher am deutlichsten und effektivsten in der isländischen Freistaatszeit in Erscheinung. Im Gegensatz zum Familienverband, in den man hineingeboren wurde und an dem man nichts ändern konnte, war der Freundschaftsverband ein soziales Konstrukt, das auf die jeweiligen politischen Verhältnisse ausgerichtet werden konnte. So wurden soziale Netzwerke zur Machtausweitung und Machtsicherung gebildet. Solche Freundschaften wurden daher nur in oder mit der Oberschicht gebildet. Von Freundschaften der Bauern untereinander erfährt man nichts. Sie waren in regionale Bezirke (hreppar) zusammengefasst, innerhalb deren die Pflicht zum gegenseitigen Beistand bereits vorgegeben war.[48] Dagegen wurden Freundschaften zwischen Bauern und Häuptlingen (Goden) geknüpft. Sie waren mit gegenseitigen Pflichten der Loyalität und Unterstützung und seitens des Goden mit der Pflicht zum Schutz verbunden. Freundschaften wurden durch gegenseitige Geschenke begründet, wozu auch gehörte, dass der Bauer dem Goden eine seiner Töchter als Nebenfrau überließ, die dadurch eine bessere Stellung bekam, als wenn er sie mit einem anderen Bauern verheiratet hätte. Zu Beginn der Besiedlungszeit gab es wesentlich mehr Goden als zum Ende der Freistaatszeit, und es kam vor, dass Bauern Freundschaften mit zwei Goden knüpften (beggja vinir). Dadurch überschnitten sich die sozialen Netzwerke, und diese Bauern waren im Konflikt zwischen ihren Goden die geeigneten Vermittler. Als die Zahl der Goden abnahm, kam es seltener zu solchen Doppelloyalitäten, was mangels geeigneter Vermittler zu den blutigen Auseinandersetzungen der Sturlungenzeit führte.[49]

Die Abhängigkeit der Freundschaft von der Gabe führte in Norwegen praktisch zur Käuflichkeit der Bundesgenossenschaft. Knut der Große machte Olav Haraldsson (dem Heiligen) die Bundesgenossen dadurch abspenstig, dass er ihnen durch Gesandte große Geschenke übermitteln ließ. Königsmacht und Häuptlingsmacht standen einerseits in Konkurrenz zueinander, andererseits waren sie aufeinander angewiesen. So kam es insbesondere in der Bürgerkriegszeit zu häufig wechselnden Loyalitätsverhältnissen, je nachdem, wo die Häuptlinge ihren größten Vorteil zur Ausweitung ihrer Machtposition sahen. Das änderte sich erst, als der König im Spätmittelalter seine Legitimation von Gott ableitete. Damit wandelte sich auch die Funktion des Geschenkes von der Begründung einer Freundschaft mit Loyalitätsverpflichtung, die ja schon auf Grund der Stellung des Königs als Stellvertreter Gottes vorgegeben war, zur Bestechung.[50] Man kann dies an der Rechtsentwicklung verfolgen:

„Þat er upphaf laga narra at ver scolom luta austr ac biðia til hins helga Crist ars og friðar. oc þess at vér halldem lande varo bygðu. oc lánar drotne varom heilum. se hann vinr varr. en ver hans. en gud se allra vorra vinr.“

„Das ist das Erste in unserem Gesetz, dass wir uns nach Osten verbeugen und zum Heiligen Christ beten um Wohlstand und Frieden und darum, dass wir unser Land weiter bewohnen können, und das Heil unseres Herrn. Er soll unser Freund sein und wir die seinigen Freunde und Gott der Freund von uns allen.“

Gulathingslov § 1.

Dieser Paragraf wurde im Landslov von 1274 gestrichen. Der König war nicht mehr auf die Freundschaft der Bauern zur Sicherung der Loyalität angewiesen.

Nach der Christianisierung wurden Freundschaften zu Heiligen und zu Gott nach ähnlichen Regeln begründet. Man stiftete ihnen Kirchen mit dazugehörigem Land und erwartete von ihnen Unterstützung in Konflikten. Die Heiligen wurden Guðsvinir (Gottesfreunde) genannt. Bischof Guðmundur Arason bat, als er seine Frau sterben sah, diese, seinen Gruß an eine Reihe von Heiligen, unter anderen Maria, dem Erzengel Michael und Olav dem Heiligen zu übermitteln, aber ganz besonders seinem Freund (vini mínum) Ambrosius.[51] Im 13. Jahrhundert änderte sich allerdings das Gottesverhältnis. Aus dem helfenden Gott, mit dem man mit Geschenken verhandeln konnte, wurde ein strafender Gott, der die Einhaltung seiner Gebote unabhängig vom Rang und von Gaben streng überwachte.[52]

Frauen

Allgemeines

Die Frauen waren den Männern politisch nicht gleichgestellt. So durften sie am Thing nicht teilnehmen.[53] Sie waren aber gesellschaftlich nicht deutlich benachteiligt.

Das am reichsten ausgestattete bekannte Grab der nordischen Wikingerzeit wird einer Frau zugeordnet:[54] Die dendrochronologische Verordnung liegt in der Zeit um 820 n. Chr.[55] Im Grabhügel von Oseberg wurden zwei vornehme Frauen[56] – möglicherweise eine Königin mit einer jungen Begleiterin – bestattet. Reichtum und Macht der Toten lassen sich an mehreren Indizien ablesen lassen. Zum einen handelt es sich um einen sehr großen Grabhügel, zum anderen wurden der Toten zahlreiche wertvolle Grabbeigaben wie Schlitten, Tiere, Schiffe, Boote, Wagen und Nahrungsmittel mitgegeben. Die Mitbestattung einer Begleiterin ist teils auch aus anderen skandinavischen Gräbern des 1. Jahrtausends bekannt.[57] Auch andere Bestattungen weisen höhergestellte weibliche Persönlichkeiten aus. So wurde auf dem wikingerzeitlichen Gräberfeld von Kosel bei Haithabu ein Kammergrab dokumentiert, in dem eine Frau in einem Wagenkasten niedergelegt worden war. Zu ihren Füßen lagen zwei Pferde mit Trensen: Ein vollständiges Wagengespann, das der Toten wohl zu Lebzeiten und bei der letzten Fahrt zur Grabstätte gedient hatte.[58]

Wirtschaftliche Stellung

Es gab jeweils klar umrissene Aufgabenbereiche von Frauen und Männern, die später sogar gesetzlich fixiert wurden.[59] Grabbeigaben und literarische Zeugnisse dienen hierfür als Quellen.[59] Die Grágás, das mittelalterliche isländische Gesetzbuch, stellte den Bereich „diesseits der Schwelle“, also im Haus, als Territorium der Frau dar, während der Mann „sich um das zu kümmern hatte, was draußen zu tun war“.[59] Das soziale Gefüge war stark von Frauen abhängig: Sie verwalteten und bewirtschafteten während der zum Teil jahrelangen Abwesenheit ihrer Ehemänner und Söhne den Hof.[60] Höfe wurden häufig nach den Besitzern benannt z. B. Hårstad nach Hårek und Ingvaldstad nach Ingvald.[61] Die Tatsache, dass Höfe auch nach Frauen benannt worden sind, z. B. Møystad östlich von Vang, altnorwegisch "Meyarstaðir", noch dazu nach einer jungen unverheirateten Frau, worauf die Silbe "Mey = Mädchen" hinweist[62], zeigt, dass Frauen durchaus auch führende Positionen einnehmen konnten.[63] Dass es sich um einen Einzelfall handelt, zeigt, dass normalerweise die Frauen den Männern als Gruppe nicht gleichgestellt waren, sie sich aber in Ausnahmefällen gleichwohl auf Augenhöhe mit den Männern behaupten konnten. Insgesamt gibt es 20 – 25 Höfe, die nach Frauen, in der Regel mit ihrem Namen und nicht anonym, benannt sind. In Island sind ungefähr 10 % der Höfen nach Frauen benannt.[64] Bei den Frauen, denen entweder Runensteine gewidmet waren, oder die selbst Runensteine anderen Frauen oder Männer widmeten, ist das Verhältnis anders: Da sind 20 % von Frauen oder für Frauen vorhanden. Diese Differenz ist auch darauf zurückzuführen, dass die Gründung eines Hofes gewaltige physische Anstrengungen erforderte, so dass nur wenige Höfe nach Gründerinnen benannt worden sind. Später konnten Frauen durch Erbschaft oder andere Ereignisse Höfe besitzen und so zu Personen aufsteigen, denen Runensteine gewidmet wurden oder selbst solche in Auftrag gaben. Mit einem Runenstein mit der Inschrift: "Rannveig errichtete diesen Stein nach Ogmund, ihrem Mann." dokumentierte die Witwe, dass sie den Hof nun in Eigenbesitz führte.[65]

Die Zubereitung von Nahrung gehörte zum Aufgabenbereich der Frauen.[66] Die Herstellung von Textilien war den Frauen vorbehalten.[59] Dazu gehörte auch das Weben der riesigen Schiffssegel.[67] Für die Rolle der Frauen in der Rus ist bezeichnend, dass von den Waagen und Gewichten, die typische Grabbeigaben von Händlern darstellen, 20 % in Frauengräbern gefunden wurden: Offensichtlich spielten Frauen also im Handel eine wesentliche Rolle. Gleichwohl ist nicht zu übersehen, dass wesentlich weniger Frauengräber mit Grabbeigaben erhalten sind, als Männergräber. Daraus ist zu schließen, dass Männer einen niedrigeren Status als Frauen haben konnten und trotzdem ein eindrucksvolles Grab erhielten.[68]

Rechtliche Stellung

Der Runenstein von Hillersjö in Uppland aus dem 11. Jahrhundert ist eine Quelle dafür, dass Frauen auch in der Erbfolge eine wichtige Rolle spielen konnten.[69] Witwen hatten in dieser Gesellschaft die privilegierteste Position.[70] Eine Witwe konnte auch ihren Sohn beerben, wenn dieser ohne eigene Erben starb. Nach ihrem Tod ging das Erbe an ihre Verwandten. Frauen konnten, wenn es erforderlich war, auch Funktionen von Männern übernehmen, zum Beispiel als unverheiratete Frau einen Hof gründen und leiten. Die sozialen Normen hinderten sie daran nicht.

Stellung in der Ehe

Von Frauen auf Wikingerzügen wird erst Mitte des 9. Jahrhunderts berichtet, als die ersten Skandinavier begannen, in Frankreich zu überwintern.[71] Allerdings dürfte es sich im Wesentlichen um Frauen gehandelt haben, die bei den Überfällen als Beute mitgenommen wurden.[72]

Ein gewisses Problem bereitet der Ausdruck Brautkauf. Man wird wohl kaum daran zweifeln können, dass sich in diesem in vielen nordischen Gesetzen vorkommenden Begriff ursprünglich ein realer Kauf widerspiegelt.[73] Im 11. Jahrhundert hatte der Ausdruck längst eine abgeschwächte Bedeutung erhalten. Aber gleichwohl wurde für die Braut weiterhin eine Geldsumme bezahlt – mundr. Ursprünglich wurde der Brautpreis an den Vater der Braut bezahlt, aber in den späteren Gesetzen ging dieses Geld in das Eigentum der Braut über. Die Ausdrucksweise in den Sagas ist da eindeutig: Der Freund des Freiers sagt zum Brautvater: "Mein Freund will deine Tochter heiraten. Am Vermögen soll es nicht fehlen!" Der Mindestpreis betrug nach dem Gulathingslov 1 1/2 Mark. Das nannte man das "Armen-mundr". Dem Vater stand es frei, die Tochter dazu zu befragen. Fand er den Handel vorteilhaft, so schlug er sofort ein. Doch mit der Zustimmung der Tochter war es einfacher und das Risiko für spätere Komplikationen geringer. Nach Möglichkeit versuchte sie, einen Mann höheren Standes als sie selbst zu heiraten.

Beide Ehepartner hatten gleichermaßen das Recht auf Scheidung. Ihre Familie war verpflichtet, sie anschließend aufzunehmen. Außerdem musste die Frau einen guten Grund haben, wenn sie nicht ihre Mitgift verlieren wollte. Die Geschiedene, wie auch die Witwe, war nun viel freier in der Wahl ihres nächsten Mannes. Aber auch hier musste sie den Rat ihrer Verwandten einholen, wenn sie sich ihrer vollen Rechte versichern wollte.

Die Forderung an die Jungfräulichkeit bei der ersten Hochzeit war für die Braut absolut, desgleichen an die Treue während der Ehe. Die Ehre der Familie hing davon ab. Das isländische Recht war da am strengsten: Für einen heimlichen Kuss musste der Mann 3 Mark Strafe zahlen. Ein Mädchen gegen seinen Willen zu küssen, führte zur Landesverweisung. Liebesgedichte an ein Mädchen zu verfassen, war streng verboten, wurde aber dennoch praktiziert. Es kam vor, dass der Vater die Einwilligung zur Ehe verweigerte, wenn sich die Brautleute bereits vorher geeinigt hatten. Die Frauen hatten keinen Anspruch auf das Erbe nach ihren Eltern, sondern nur auf eine standesgemäße Mitgift, die aus Aussteuer und Wertsachen bestand. Wenn allerdings das Mädchen beim Tod des Vaters noch unverheiratet war, hatte es Anspruch auf einen dem Vermögen entsprechenden Anteil. Die Mitgift konnte der Ehemann nur verwalten. Sie blieb von seinem Vermögen getrennt. Die Geschäftsfähigkeit war betragsmäßig begrenzt. Die Frau konnte nur bis zu einem gewissen Betrag wirksam Geschäfte tätigen.[74]

Frauen als Kriegerinnen?

In einer Studie aus dem Jahr 2017 wurde die Meinung vertreten, neue DNA-Analysen hätten ergeben, dass in dem bereits 1878 geöffneten Kammergrab 581 von Birka kein Mann, sondern eine hochrangige Kriegerin bestattet worden sei.[75] Kritik wurde von Judith Jesch, Professorin für Wikingerstudien der Universität Nottingham, vorgebracht, die methodische Mängel monierte.[76] Ein irischer Text aus dem frühen 10. Jahrhundert erzählt von Inghen Ruaidh („Rotes Mädchen“), einer weiblichen Kriegerin, die eine Wikingerflotte nach Irland geführt hatte. Durch diese Erzählung erscheinen auch die Schildmaiden in der Völsunga Saga in neuem Licht.[77]

Frauen in der Literatur

Während die Skaldendichtung generell eine rein männlich orientierte Literaturgattung war, schreckte Sigvat Tordsson nicht davor zurück, hier Neuland zu betreten und eine Frau zum Gegenstand eines Lobgedichts zu machen.[78] Er schrieb ein Preisgedicht auf König Olav II. Haraldssons Frau, Königin Astrid Olofsdottir, von dem drei Strophen erhalten sind.[79] Darin stellt er Astrid als „gute Ratgeberin“ und „eloquent argumentierende, weise Frau dar“.[78] In der Literatur der Zeit werden die Walküren häufig erwähnt. Sie waren eine Art weiblicher Kriegsdämonen: Sie wählten die Krieger aus, die auf dem Schlachtfeld sterben und nach Walhall gebracht werden sollten, um dort Krieger von Odin zu werden.[80]

In allen Isländersagas sind formal Männer die Hauptpersonen und Träger des äußeren Handlungsablaufs. Aber in einigen Sagas spielen auch Frauen eine große Rolle. Sie können das Geschehen als Objekt der männlichen Begierde beeinflussen. Die Frauen können die Männer anstacheln das zu tun, was sie wollen. Im Grunde werden bei Frauen die gleichen Charaktereigenschaften wie bei den Männern geschätzt. Eine Sagafrau, die den männlichen Idealen mit Rache und Ehre als zentralen Begriffen entsprach, galt als starke Frau. In einigen Sagas begegnet man auch weicheren Frauentypen. Dieses Frauenbild ist beeinflusst vom romantischen Frauenideal der übersetzten höfischen Dichtung. Frauen als Nebenfiguren verlieren bald ihre individuellen Züge und werden zu Stereotypen. Frauen werden in den Sagas an den Maßstäben der Männer gemessen. Der Mann wird nach seinen Charaktereigenschaften beurteilt. Eine Frau wird danach beurteilt, inwieweit sie ihre Stärke nutzt um die Männer zu stützen, oder gegen sie vorzugehen,[81] die sie nach den gesellschaftlichen Normen stützen sollte.[82]

Zauberer und Zauberinnen

 

„Das Zauberzeichen Æirzhjálmur. Es soll aus Blei gefertigt und auf die Stirn gedrückt werden, wenn man seinen Feind erwartet, dass es ihn treffe. Und du wirst ihn überwinden.“[83]

Vor und während der Christianisierung gab es Menschen, die magische Praktiken ausübten. Die Männer hießen Seiðmenn, die Frauen nannte man Völva oder Spákona (Seherin). Die Frauen waren betagt und unverheiratet oder verwitwet, was ihnen eine große gesellschaftliche Unabhängigkeit sicherte. Sie genossen sehr hohes Ansehen, wie in der Saga von Erich dem Roten geschildert wird (der Passus ist bei Völva wiedergegeben). Dem gegenüber waren die Seiðmenn in der Regel nicht geachtet. Soweit sie, wie in den Sagas hin und wieder geschildert, magische Praktiken im Kampf anwendeten, galt dies als unmännlich und eines echten Kriegers nicht würdig. Sie scheinen auch als homosexuell gegolten zu haben (Näheres siehe bei Magie). Der Zauber bezog sich in der Regel auf die Herbeiführung schweren Unwetters oder die Herstellung von Kleidung, die kein Schwert durchdringen konnte. Wie die Praktiken vollzogen wurden, wird so gut wie nie geschildert. Eine der ganz seltenen Schilderungen betrifft den Versuch einer zauberkundigen Frau, ihren missratenen Sohn dadurch vor Verfolgung zu schützen, dass sie seine Gegner in Wahnsinn verfallen lassen wollte.

„Og er þeir bræður komu að mælti Högni: ‚Hvað fjanda fer hér að oss er eg veit eigi hvað er?‘ Þorsteinn svarar: ‚Þar fer Ljót kerling og hefir breytilega um búist.‘ Hún hafði rekið fötin fram yfir höfuð sér og fór öfug og rétti höfuðið aftur milli fótanna. Ófagurlegt var hennar augnabragð hversu hún gat þeim tröllslega skotið. Þorsteinn mælti til Jökuls: ‚Dreptu nú Hrolleif, þess hefir þú lengi fús verið.‘ Jökull svarar: ‚Þess er eg nú albúinn.‘ Hjó hann þá af honum höfuðið og bað hann aldrei þrífast. ‚Já, já,‘ sagði Ljót, ‚nú lagði allnær að eg mundi vel geta hefnt Hrolleifs sonar míns og eruð þér Ingimundarsynir giftumenn miklir.‘ Þorsteinn svarar: ‚Hvað er nú helst til marks um það?‘ Hún kvaðst hafa ætlað að snúa þar um landslagi öllu ‚en þér ærðust allir og yrðuð að gjalti eftir á vegum úti með villidýrum og svo mundi og gengið hafa ef þér hefðuð mig eigi fyrr séð en eg yður.‘“

„Und als die Brüder herbeikamen, sprach Högni:‚ Was für ein Teufel kommt dort auf uns zu? Ich weiß nicht, was es ist.‘ Thorstein erwiderte: ‚Da kommt Ljot, das alte Weib, und hat sich sonderbar geputzt.‘ Sie hatte sich die Kleider vorn über den Kopf geworfen und ging rückwärts und streckte den Kopf zwischen den Beinen nach hinten. Gräulich war der Blick ihrer Augen, wie sie ihn wie die Trolle zu schießen wussten. Thorstein rief Jökul zu: ‚Jetzt schlag Hrolleif tot. Du hast lange darauf gebrannt.‘ Jökul antwortete: ‚Dazu bin ich gern bereit‘, und hieb ihm den Kopf ab und wünschte ihn zum Teufel. ‚Ja, ja,‘ sagte Ljot, ‚nun war es nahe daran, dass ich meinen Sohn Hrolleif hätte rächen können. Aber die Ingimundssöhne sind gewaltige Glücksmänner.‘ Thorstein antwortete: ‚Warum meinst du das?‘ Sie sagte, sie habe das ganze Land umstürzen wollen, ‚und ihr wäret toll geworden und verrückt draußen bei den wilden Tieren geblieben. Und so wäre es auch gekommen, wenn ihr mich nicht eher gesehen hättet, als ich euch.‘“

– Vatnsdœla saga Kap. 26.

Eine gewisse Ausnahme bildeten die Samen (in den Sagas „Finnen“ genannt), da sie sich außerhalb der skandinavischen Gesellschaft befanden. Sie waren vor allem zukunftskundig. Allerdings war die Grenze zum Zauberzwang fließend. So sagt eine finnische Seherin den Ziehbrüdern Ingimund und Grim voraus, dass sie Norwegen verlassen und nach Island ziehen würden. Diese fassen dies als Befehl auf und verabschieden sich vom norwegischen König. Dieser entlässt sie mit den Worten, es sei schwer, gegen Zauberworte zu handeln.[84]

Ein Schwerpunkt der Zauberei hielt sich noch bis in die Neuzeit in Nordwestisland. Es waren Männer, die an der untersten Grenze des Existenzminimums dahinvegetierten und versuchten, durch allerlei magische Praktiken ihre Verhältnisse zu bessern oder zumindest weitere Schicksalsschläge abzuhalten. Es handelte sich dabei im Wesentlichen um Amulettzauber, also um magische Zeichen, die an Türen anzubringen oder unter Schwellen zu vergraben waren, oder die man bei sich trug.

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